Buddy werdenStarte jetzt

Emotionsregulation

Welche Strategien für den Umgang mit Emotionen sinnvoll sind

Von Anonym am 03. Oktober 2024 · 5 Minuten Lesedauer

Angst, Ekel, Scham – diese Emotionen mag niemand von uns gerne. Jedoch haben auch negative Gefühle aus evolutionärer Sicht ihre Berechtigung. Sie sind nämlich ein Zeichen dafür, dass wir in der aktuellen Situation etwas ändern sollten. Wären unsere Vorfahren beim Anblick eines Tigers nicht ängstlich geworden, hätten sie von ihm verspeist werden können. Ekel diente dazu, keine verdorbenen Lebensmittel zu essen und sich somit vor Krankheiten zu schützen. Scham führte dazu, dass unerwünschtes Verhalten aus Furcht vor Ausstoß aus der lebenswichtigen sozialen Gruppe unterlassen wurde. Diese Emotionen konnten den Menschen das Leben retten und dienen auch heute noch unserem Wohlergehen.

Problematisch werden unsere Emotionen heutzutage erst dann, wenn sie einen falschen Alarm auslösen. Wenn man also zum Beispiel extreme Angst verspürt, obwohl keine lebensgefährdende Situation vorliegt. Oder wenn man sich über einen längeren Zeitraum hinweg traurig fühlt, selbst wenn keine besonderen Ereignisse passieren. Emotionsregulation beschreibt Prozesse, bei denen Intensität und Dauer von Emotionen beeinflusst werden sollen. Es geht also um die Kontrolle der eigenen Emotionen.

Die Metaanalyse Webb et al. untersucht, welche Regulationsstrategien effektiv sind und somit unser Wohlbefinden fördern.

Neubewertung von Situationen & Emotionen

Die Neubewertung von Situationen oder Emotionen ist eine wirksame Strategie. Durch kognitives Umdeuten können wir negative Gefühle anders betrachten und somit abschwächen. Um die Neubewertung an einem Beispiel zu erklären, können wir uns eine Problemsituation vorstellen, in der eine Freundin 30 Minuten zu spät zum Treffen erscheint. Ein negativer automatischer Gedanke könnte sein: "Ich bin ihr nicht wichtig genug." Trauer und Selbstzweifel folgen diesen Gedanken. Ein hilfreicher Gedanke hingegen ist: "Es ist ihr etwas Wichtiges dazwischen gekommen, das nicht mit mir zusammenhängt." Ein daraus resultierendes Gefühl ist jetzt Mitgefühl.

Aufmerksamkeitslenkung

Auch Aufmerksamkeitslenkung kann helfen. Sie beschreibt die Fokuslenkung von den belastenden Umständen zu anderen, positiven Gedanken. Zum Beispiel kann man nach einem Streit mit den Eltern sich mit einem:einer Freund:in treffen. Man kann sich auch direkt mit einem Buch oder einem Film ablenken. Eine weitere hilfreiche Übung ist die 3-2-1 Methode: Welche drei Dinge kannst du sehen? Welche zwei Empfindungen spürst du in deinem Körper? Was kannst du riechen? Mit dieser Übung kann die Aufmerksamkeit von belastenden Gefühlen auf die Umwelt gelenkt werden.

Perspektivenwechsel

Die Metanalyse kommt zum dem Schluss, dass der Perspektivwechsel die effektivste Emotionsregulationsstrategie ist. In unangenehmen Situationen versucht man, sich von außen zu „beobachten“. Man befindet sich also nicht mehr in der 1. Person, sondern nimmt die Rolle eines:einer stillen Beobachter:in ein. Durch den Perspektivwechsel entsteht psychologische Distanz. Man gewinnt Abstand zur eigenen Person und damit auch zur belastenden Situation. Dafür kann es hilfreich sein, den eigenen inneren Dialog zu verändern. Man spricht nicht mehr in der Ich-Perspektive mit sich selber, sondern nutzt den Du-Dialog wie mit einem:einer Freund:in. Nicht mehr "Ich habe so Angst, wie soll ich das schaffen?", sondern "Du hast zwar Angst, aber du schaffst das. Ich glaube an dich!"

Unterdrückung von Emotionen

Emotionen zu unterdrücken funktioniert vielleicht kurzfristig, führt jedoch langfristig zu einem Rebound-Effekt. Dieser Effekt beschreibt, dass nach dem Versuch der Unterdrückung ängstlicher oder negativer Emotionen die Auftrittswahrscheinlichkeit dieser Gefühle und Gedanken ansteigt. Man könnte sie also sogar stärker als davor empfinden. Ein anschauliches Beispiel dafür sind grausame Nachrichten in der Zeitung. Um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, kann aktiv versucht werden, diesen Neuigkeiten keine Gedanken zu schenken. Das kann aber dazu führen, dass immer wieder über das Thema nachgedacht wird, sogar obsessive Gedanken über die Nachrichten auftreten. Gerade bei Posttraumatischen Belastungsstörungen ist der Rebound-Effekt häufig zu beobachten.

In einer Studie konnte dieser Effekt nachgewiesen werden. Teilnehmer:innen sollten Luft mit einem hohen CO2 – Anteil einatmen, die zu panikartigen Symptomen führen kann. Eine Gruppe sollte diese negativen Emotionen unterdrücken, die andere durfte zulassen, dass es ihnen dadurch schlechter geht. Die Personen aus der ersten Gruppe hatten im Nachhinein mehr Angst und wollten diese Situation nicht mehr erleben. Die Teilnehmer:innen aus der Kontrollgruppe waren hingegen viel eher bereit, das Experiment noch einmal durchzuführen. Auch wenn die 1. Studie von Webb interessante Ergebnisse hervorbringt, ist sie nicht erschöpfend, weil einige Emotionsregulationsstrategien nicht untersucht werden.

Welche Strategien psychische Gesundheit fördern

Die zweite Meta-Analyse von Aldao et al. untersucht, wie verschiedene Emotionsregulationsstrategien mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Sucht zusammenhängen.

Vermeidung

Eine zentrale Erkenntnis ist, dass Personen die unter starken psychischen Störungen leiden, häufig Vermeidung als Strategie zur Emotionsregulation zeigen. Diese zeigt sich dadurch, dass sich die Personen gar nicht erst in die belastende Situation begeben und diese meiden. Zum Beispiel melden sie sich am Tag eines Referates aufgrund von Vortragsangst ab oder gehen nicht in den Keller, da sich dort Spinnen befinden könnten. Ein weiteres Beispiel ist die Agoraphobie (Platzangst) aufgrund von Angst vor Situationen, in denen es vermeintlich keine Fluchtmöglichkeiten oder Hilfe gibt, falls etwas passieren sollte. Vermeidung ist langfristig eine sehr problematische Emotionsregulationsstrategie. Sie führt zu Aufrechterhaltung der Problematik bzw. der Ängste. Man kann nämlich nicht die Erfahrung machen, dass in der Situationsexposition meistens nichts Schlimmes passiert.

Ruminieren

Die ineffizienteste Strategie zur Emotionsregulation ist gemäß der Studie das Ruminieren – das ständige Grübeln. Es ist so, als würde man belastende Gedanken wiederkäuen und schafft es nicht, sich davon zu lösen. Das führt zu einem „Gedanken-Teufelskreis“. Die stetige Präsenz destruktiver Gedanken führt zur Aufrechterhaltung der psychischen Problematik.

Neubewertung und Akzeptanz

Personen mit niedriger Ausprägung psychischer Krankheitssymptome nutzen besonders häufig als Emotionsregulationsstrategie die Neubewertung oder Akzeptanz. Kognitive Neubewertung findet statt, wenn die negativen Emotionen dadurch geändert werden, dass anders über sie nachgedacht wird. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der ungünstige Gedanke „Ich bin so faul“. Eine Neubewertung des Gedankens ist: „Mein Körper und mein Kopf brauchen gerade eine Pause, die ich ihm gerne zugestehe“. Akzeptanz ist die Fähigkeit, eine Situation, Personen oder Lebensumstände so zu akzeptieren, wie sie sind. Ein Beispiel dazu: „Warum wurde ich von meinem Job gefeuert, ich war doch genauso fähig wie die Anderen, womit habe ich das verdient?“ Eine akzeptierende Einstellung ist dann: „Meine Arbeitsstelle wurde gekündigt, das ist jetzt so.“

Aktive Problemlösung

Die beste Emotionsregulationsstrategie ist das aktive Lösen des Problems, gemäß der Metaanalyse. Dazu gehört sich zu überlegen, wo das eigentliche Problem liegt, was die Trigger in den schwierigen Situationen sind. Wenn man sich in der Gegenwart einer anderen Person zum Beispiel unwohl fühlt, gilt es sich zu überlegen, was genau einen an ihr stört. Falls dies angesprochen werden kann, sollte man aktiv das Gespräch suchen, um dieses Problem anzusprechen und zu lösen. Kann die Person das nicht ändern, so muss dies akzeptiert werden und anschließend bewusst der Kontakt gemieden werden.

Prozessmodell der Emotionsregulation nach Gross

James Gross ist ein US-amerikanischer Psychologe und Professor für Psychologie an der Stanford Universität in Kalifornien. Gross ist bekannt für seine Arbeiten über menschliche Emotionen und vor allem über die Emotionsregulation. Im Jahr 2002 entwickelte er schließlich sein Prozessmodell der Emotionsregulation.

Das Modell geht davon aus, dass der zeitliche Ablauf einer Emotion in 4 Schritte unterteilt werden kann:

  1. Situation: ein Reiz wird wahrgenommen
  2. Aufmerksamkeit: Person schenkt dem Reiz Aufmerksamkeit und nimmt ihn bewusst wahr
  3. Bewertung: es kommt zu kognitiven Bewertungsprozessen – der Reiz wird eingeordnet, um angemessen reagieren zu können
  4. Reaktion: es kommt zu einer emotionalen Reaktion

Gross verortet Regulationsprozesse an unterschiedlichen Stellen im zeitlichen Verlauf der Emotionsentstehung. Bei diesen Prozessen gibt es fünf Emotionsregulationsstrategien. Sie können bewusst oder unbewusst bzw. automatisch oder kontrolliert ablaufen. Die Strategien können in antizipatorische und reaktive Strategien unterteilt werden. Erstere setzen bereits an, bevor sich die Emotion vollständig entwickelt hat. Sie umfassen die Situationsselektion, die Situationsmodifikation, die Aufmerksamkeitslenkung und die Kognitive Veränderung. Die reaktive Strategie setzt erst an, wenn sich die Emotion schon entwickelt hat. Sie wird als Reaktionsveränderung beschrieben.

  1. Situationsselektion: Auswahl von Situationen, Personen oder Orten
  2. Situationsmodifikation: Kontrolle und Veränderung der Situation
  3. Aufmerksamkeitslenkung: Fokus auf äußere Reize zur Regulation der Emotion
  4. Kognitive Veränderung: Situation wird eine Bedeutung zugeschrieben
  5. Reaktionsveränderung: Emotion kann neubewertet oder unterdrückt werden

Diese Strategien können anhand eines Beispiels deutlich gemacht werden. Lisa hat zwar Angst vor großen Menschenmengen, möchte aber unbedingt mit ihrem Freund dorthin (Situationsselektion). Sie erklärt ihrem Freund ihre Angst und macht mit ihm aus, dass er sie im Fall einer Panikattacke sofort nach Hause bringt (Situationsmodifikation). Als sie auf dem Markt Herzrasen spürt, versucht sie sich auf einen besonderen Verkaufsstand zu konzentrieren. Sie geht zum Stand, um sich die Produkte anzuschauen und die Gedanken von ihrer Angst wegzulenken (Aufmerksamkeitslenkung). Sie versucht die Situation positiv zu bewerten, denkt also darüber nach, dass es ihr auf dem Markt gut gefällt und sie gerne frische Lebensmittel einkauft (Kognitive Veränderung). Lisa wird die Situation zwar langsam zu anstrengend, sie ist jedoch fast schon am Ende des Markts und hält bis dorthin durch. Anschließend fährt sie mit ihrem Freund nach Hause, um über die Situation zu reden und sich aktiv mit ihrer Angst auseinanderzusetzen (Reaktionsveränderung).

Literatur

Auf der Suche nach 'nem Buddy?

Float Buddies sind neutrale Zuhörer:innen mit einem Hintergrund in Psychologie, die dir helfen, deine Herausforderungen zu meistern.

Mehr erfahren
Two young men with backpacks standing next to each other talking